Vorgeschichte

Im Jahre 1938 erreichte der Bestand des schweizerischen Pfadfinderbundes die Zahl von 20'200 Mitgliedern. Der Pfadfinderbund ist somit die grösste schweizerische Jugendorganisation. Das Bundeslager 1938 in Zürich vereinigte 7000 Pfadfinder aus allen Gegenden der Schweiz, nur aus dem Rheintal war niemand anwesend. Zwischen Rorschach und Buchs gab es keine Pfadfinder.

Als ich aus beruflichen Gründen von Uzwil nach Balgach übersiedelte, gab mir der Kantonalfeldmeister den Auftrag, einmal die Möglichkeit der Bildung einer hiesigen Pfaderabteilung zu studieren. Ich fand Heerbrugg als Zentrum der Gemeinden Balgach, Bemeck, Au und Widnau äusserst günstig gelegen und entschloss mich nach Rücksprache mit einigen Lehrern, Pfarrherren und weiteren fahrenden Persönlichkeiten eine Pfadfinderabteilung Heerbrugg zu gründen.

Balgach, im Januar 1939

Walter Schellenberg v/o Kobold (Rfm.)

Gründung der Abteilung

Ich war mir von Anfang an bewusst, dass ich allein keine Abteilung gründen konnte, d.h. dass ich allein nicht eine Schar von 30 bis 40 Buben (Neulingen) in die Pfaderei einfuhren könne. Meine erste Aufgabe war daher, mich nach Mitarbeitern umzusehen. Ich suchte an meinem Arbeitsplatz, in der Firma Wild, unter den bisherigen Arbeitern und den Neueintretenden nach ehemaligen Pfadfindern und Pfaderführern, fand aber keinen, der sich für meine Zwecke geeignet hätte. Dagegen fiel mir ein strammer, junger Mann aus unserem Betrieb auf, welcher immer noch hemdärmlig im flotten Schritt zur Arbeit marschierte, als sich die andern schon längst in Kittel und Mantel hüllten. Auch bei der Arbeit zeigte er ein anständiges, korrektes Auftreten und als ich zufällig sah, dass er einen Gürtel mit Lilienschnalle trug, fragte ich ihn, ob er Pfadfinder oder Führer gewesen sei und wenn ja, in welcher Abteilung. Seine Antwort lautete: "Ich bin in Balgach aufgewachsen und da es in dieser Gegend keine Pfadfinder gibt, hatte ich keine Gelegenheit in einer Pfaderabteilung mitzumachen. Aber ich war einmal im Kanton Graubünden in den Ferien. Neben uns hatte eine Pfadfinderabteilung ihr Ferienlager aufgeschlagen. Der Betrieb interessierte mich; ich lernte Pfadfindergesetz und -versprechen kennen und die Sache gefiel mir. Von da an war ich bemüht, selber nach Pfadfindergesetz und -versprechen zu leben und fühle mich deshalb einigermassen berechtigt, den Pfadergürtel zu tragen." Weil ich weiss, dass es für einen Pfadfinderführer von grosser Wichtigkeit ist, dass er selber in erster Linie danach trachtet Gesetz und Versprechen nachzuleben, hat mich diese Antwort sehr gefreut. Ich wusste, dass das der richtige Mitarbeiter für mich war und als ich ihn nach seiner Meinung zu einer Pfadfinderabteilung Heerbrugg fragte, antwortete er mit freudigem "ja gern. " Dieser junge Mann heisst Oscar Eberle. Ich gab ihm, da er als Balgacher die einheimische Jugend besser kannte als ich, den Auftrag, ca. 5 stramme Jünglinge zu suchen, welche sich zu Pfaderführern eignen würden.

Am 26. November 1938 erschien er dann auch mit 4 Burschen aus Heerbrugg und Umgebung. Ich erklärte ihnen kurz um was es sich handelte und alle erklärten sich bereit, bei der Gründung der neuen Abteilung kräftig mitzuhelfen. Diese "Pioniere" heissen:

  • Henoch Altherr, Balgach
  • Werner Gmünder, Au-Oberfahr
  • Louis Ruess, Heerbrugg
  • Hansheiri Spoerry, Balgach

Am darauf folgenden Samstag begannen wir bereits mit dem Einführungskurs. Ich beabsichtigte, diese 5 Burschen zuerst mit der Bewegung bekannt zu machen und auf die Pfaderprüfung vorzubereiten und nachher zu Patrouillenführern (Vennern) auszubilden. Erst wenn dann diese kleine Schar so weit ist, will ich in grösserem Mass weitermachen und Neue aufnehmen. Wir hatten also regelmässige Übungen und behandelten alle Gebiete der Pfadertechnik, wir feierten zu Sechst Waldweihnacht, wobei alle zum ersten Mal Ihre neue Uniformen trugen und am 18. und 19. Februar 1939 sollte dann die Pfadfinderprüfung stattfinden. Vorher hatte ich jedoch noch das Gesuch um Aufnahme in den Kantonalverband St. Gallen zu stellen und erhielt vom Präsidenten. Herrn Reallehrer Benz. den Bericht. dass wenn wir bis Ende Januar die Abteilung fertig organisiert hätten, dieselbe schon an der Delegiertenversammlung vom 5. Februar 1939 zur Aufnahme empfohlen werden könne, ansonsten hätten wir ein ganzes Jahr zu warten. Da die Bundes- und kantonalen Satzungen keinen Mindestbestand vorschreiben, konnten wir auch zu Sechst als Abteilung bestehen; dagegen verlangen sie das Bestehen eines Elternrates. Es war verhältnismässig leicht, einige Väter für unsere gute Sache zu begeistern. Als Elternräte stellten sich folgende Herren zur Verfügung:

  • Herr H. Spoerry, Oberstleutnant als Präsident
  • Herr E. Nüesch, z. Gerbe, Balgach
  • Herr P. Wick, Reallehrer, Berneck
  • Herr E. Ruess, Fabrikant, Heerbrugg
  • Herr Gmünder, Zollbeamter, Au-Oberfahr

Durch diesen Elternrat wurde uns auch die politische und konfessionelle Unabhängigkeit der Abteilung gewährleistet und die Abteilung wurde am 5. Februar mit Jubel in den Kantonalverband aufgenommen.

Auf den 18./19. Februar war uns also die Prüfung für die neuen Pfadfinder angesetzt. Leider musste uns gerade an diesem Datum Oscar Eberle, der sich an der Waldweihnacht den Übernamen "Fackel" verdient hatte, seine neue Stelle in Bern antreten und uns daher verlassen. Er hat während dem ersten Vierteljahr des Bestehens der Abteilung die Verwaltung geführt. Er schenkte uns bei seinem Abschied als erstes Abteilungsmaterial einen schönen Kochtopf. Wir danken ihm dafür, sowie für seine geleistete Arbeit recht herzlich und wünschen ihm für seine berufliche und seine pfaderische Laufbahn in der Abteilung "Schwizerstärn" alles Gute.

Als Experten für die Pfaderprüfung stellte sich ein ehemaliger Führer der Abteilung "Gallus-St. Gallen", Jakob Leuthard z.Zt. in Rebstein, freiwillig zur Verfügung. Ich war sehr froh um diese Mitarbeit und hoffe, ihn noch öfters an unseren Übungen als Instruktor oder Experte begrüssen zu dürfen. Ein ehemaliger Venner der Abteilung Gossau, Max Zünd in Rebstein, amtete ebenfalls als Experte und stellte sich zur Mitarbeit als JFm zur Verfügung. Anlässlich der Prüfung konnten wir auch einen Neuling in die Abteilung aufnehmen: Rolf Federer aus Altstätten. Er wird unser Küchenchef werden. Die Prüfung selbst fand in Balgach und Gais statt und wurde von allen Kandidaten sehr gut bestanden.

Mit der Pfadfinderprüfung war die Rekrutenschule für die ersten 4 Führer zu Ende, es folgt die kürzere 'Unteroffiziersschule'. Am 13. März wird ein Orientierungs- und Ausspracheabend für Eltern, Erzieher und Behörden stattfinden, und am 18. März wird Massenaufnahme Neuer sein. Bis zu diesem Datum hoffe ich, einen Protokollführer zur Weiterführung dieser Chronik gefunden zu haben.

Balgach, anfangs März 1939

Allzeit bereit!

Walter Schellenberg v/o Kobold, Rfm

Protokoll "Ziel und Wesen der Pfadfinderbewegung"

Um 8 Uhr eröffnete der Präsident des Elternrates, Herr Oberstleutnant Spoerry die Versammlung, zu der etwa 50 Damen und Herren erschienen waren, mit einem kurzen Willkommensgruss. Speziell begrüsste der Vorsitzende den Kantonalpräsidenten und den Kantonalfeldmeister, die Herren Benz und Forrer aus St. Gallen, die der Einladung von Rfm. Schellenberg Folge geleistet hatten. Hierauf verlas er Art. 2 und 3 der Bundes-Satzungen des schweizerischen Pfadfinderbundes, das 'Pfadfindergesetz und Versprechen'. Nach dem Verlesen dieser Artikel ergriff Herr Benz das Wort. Er schilderte in vortrefflicher Weise die von der Lehrerschaft viel umstrittene Frage: Pfadfinder und Schule. Bekanntlich herrscht auf dem Lande immer ein gewisses Misstrauen seitens der Lehrerschaft gegenüber der Pfadfinderbewegung. Deswegen hatte Herr Benz in sehr trefflichen Erläuterungen die Sache aufgeklärt. Zugleich orientierte er die Versammelten eingehend über das Ziel und Wesen der Bewegung. Nach dem Referat des Kantonalpräsidenten stellte sich der Kfm. Forrer zur Verfügung, um die Fragen zu beantworten, die aus dem Kreise der Versammelten gestellt wurden. Leider konnte aber der Kfm. keine Erklärungen abgeben, da gar keine Anfragen an ihn gestellt wurden. Lediglich Herr Ruess wünschte Aufschluss, über die Übungen an den Samstagen und wieviel die Pfader an Sonntagen im Jahr auf Wanderungen sind. Darüber gab Abteilungsleiter Schellenberg erschöpfende Auskunft. Da sich sonst niemand zum Wort meldete, schilderte der Kfm. die Laufbahn vom Jungpfadfinder bis zum Führer. Nachdem sich den beiden hohen kantonalen Instanzen keine weiteren Aufgaben stellten, benutzten sie den letzten Zug nach St. Gallen.

Nun folgte aber eine andere Episode. Es ergriff Herr Kuhn das Wort. Er kritisierte die Bundes-Satzungen, die ihn nicht voll befriedigten. W. Schellenberg gab ihm aber die erforderliche Auskunft. Anschliessend benutzten die Herren Oberst Gschwend und Marthaler die Diskussion. Beide vertraten den Standpunkt: entweder Jugendriege (die schon besteht) oder Pfader. Der letztere meinte sogar, man könnte sich aber zu Gunsten der Jugendriege verbieten. Der Mann könnte sich aber schwer täuschen. Schade ist es, dass er diesen Standpunkt nicht vertreten hat, als die beiden kantonalen Leiter der Bewegung noch anwesend waren. Diese hätten ihn wohl eines besseren belehrt. Die beiden Diskussionsredner vertreten den Standpunkt, wenn die Pfader aufkommen, gehen die Jugendriege zu Grunde, und andererseits kommen die Pfader nicht auf, wenn es nach dem Willen der Letzteren ginge. Diesen Gedankengängen schloss sich auch der Jugendriegeleiter von Heerbrugg, Herr Siedler an. Auch kritisierte Herr Oberst Gschwend noch an den Ausführungen des Kantonalpräsidenten, aber mit Unrecht. Abteilungsleiter Schellenberg antwortete auch diesen Herren wieder sehr treffend und gab die Zusicherung für bestes Auskommen der beiden Jugendorganisationen. Er wünschte immerhin, dass nichts hinten herum gegen die Pfader unternommen wird, sondern dass die ganze Sache frei und offen behandelt wird. Er gab auch den Gemeinden die Zusicherung, dass bei irgendeinem Fest die Pfadfinderabteilung Heerbrugg Allzeit bereit den betreffenden Veranstaltungen zur Verfügung steht. Nach diesen Ausführungen verlangte noch H. H. Pfarrer Thürlimann das Wort. Dieser betonte, er sei zwar gegen die Vereinsmeierei, aber er unterstützte eine solche Organisation, welche die Jugend etwas von der fanatischen Sportraserei wegbringe und vielmehr für Volk und Heimat und für unsere schöne Natur sich einsetze und stehe daher der Pfadfinderbewegung sympathisch gegenüber. Seinen Worten schloss sich auch H.H. Pfarrer Schmon an. Der Abteilungsleiter verdankte die anerkennenden Worte der Vorredner.

Zum Schluss verdankte der Vorsitzende noch allen Anwesenden ihr Erscheinen und gab dem Wunsche Ausdruck, dass die Bewegung, die bereits Fuss gefasst hat, sich nun trotzdem gut entwickeln möge. Schluss der Tagung 22.40 Uhr.

Jac. Leuthardt v/o Charst